Die Anfahrt ist spektakulär. Badestrände zwischen schneeweissen Felsen, tief ins Landesinnere eingeschnitten, bizarre Felsformationen in weiss bis orangerot und ein Dorf mit schneeweissen Häusern, das auf dem Berg zu kleben scheint. Milos ist vulkanischen Ursprungs und man fährt in den Vulkantrichter ein. Am Ufer stehen malerische Fischerhütten mit bunt gemalten grossen Toren. Dann kommt mehr und mehr das kleine Dorf Adamas, in dem sich der Fährhafen befindet, zum Vorschein. In der weitläufigen Bucht vor dem Hafen finde ich einen sicheren Ankerplatz. Auf acht Metern Tiefe gräbt sich der Anker tief in den Sand. Ich lasse 80 Meter Kette raus, da in den nächsten Tagen der Wind wieder zunehmen wird. Je mehr Kette, desto sicherer bin ich. Dann geht die Sonne unter und es wird rasch dunkel.
Morgen möchte ich an Land gehen, eine Vespa mieten und meine Erinnerungen auffrischen.
Auf Milos leben heute knapp 5'000 Menschen. Die Insel ist seit 5'000 v. Chr. schon besiedelt. Das Vorkommen von Obsidian, einem vulkanischen Gesteinsglas, wegen seiner Härte wichtig für die Herstellung von Werkzeugen und Waffen in der Jungsteinzeit, förderte vermutlich schon zur damaligen Zeit Handel und Schifffahrt. Spuren davon reichen bis in den Peloponnes. Berühmt ist die Insel vor allem durch den Fundort der Venus von Milos, einer Skulptur der Göttin Aphrodite, dessen Original in Paris im Louvre besichtigt werden kann. Die zwei Meter hohe Skulptur aus Marmor entstand gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Eine Kopie kann im Museum von Milos und am Fundort bewundert werden.
Milos ist eine Vulkaninsel, auf der es noch immer hydrothermische Aktivitäten gibt. So kann man heisse Quellen und Fumarole finden. Auch Gold ist vorhanden, der Abbau mit der damit verbundenen Umweltbelastung scheiterte aber am Widerstand der Bevölkerung.
Der Bergbau spielt noch immer eine grosse Rolle und beschäftigt knapp 40% der Bevölkerung. Abgebaut werden verschiedene Gesteinsarten, die für die Bauindustrie wichtig sind. Eine windkraftbetriebene Meerwasserentsalzungsanlage liefert so viel Süsswasser, dass Milos vom Wasserschiff unabhängig geworden ist. Bei meinem letzten Besuch habe ich es noch erlebt, wie es am Hafen anlegte und seine kostbare Fracht entladen hat.
Neben dem winzigen Flughafen gibt es eine alte Saline, in der noch immer Salz gewonnen wird. Was die Insel noch auszeichnet, sind wunderschöne, landschaftlich einmalige Badestrände. So verwundert es nicht, dass der Tourismus mehr und mehr zunimmt. Milos hat sich auch den griechischen Charme bewahrt. Grosse Hotelburgen fehlen, die Strände sind zwar öffentlich, aber sehr gepflegt und vom Partytourismus scheint sie auch noch verschont geblieben zu sein. Die leichte Erreichbarkeit trägt dazu bei, dass sich wohlhabende Menschen aus Athen hier niedergelassen haben. Die Schnellfähre aus Athen schafft es zum Beispiel in 3:25 Stunden.
Gleich gegenüber von meinem Ankerplatz gibt es eine Fahrzeugvermietung, wo ich eine «Vespa» oder besser gesagt ein billiges Imitat, mieten kann. Alles wirkt filigran scheppert und vibriert. Kein Vergleich mit meiner 300ccm originalen Vespa, die ich zuhause habe. Ich nehme einen Roller mit 125ccm und mache mich auf den Weg, neugierig und gespannt darauf, was ich entdecken werden oder was sich seit meinem letzten Besuch geändert haben mag.
Zunächst fahre ich den Berg hinauf nach Plaka, jenes Dorf, das ich schon von Weitem gesehen habe. Die Anfahrt ist steil mit zahlreichen Serpentinen. Oben angekommen habe ich zunächst einen schönen Blick über die Bucht von Adamas, wo mein Boot vor Anker liegt.
Das Dorf ist überaus reizend und typisch mediterran. Grob gepflasterte, enge Gassen, Bougainvilleen, die sich mit ihren roten Blüten zwischen den Häusern spannen, weisse Häuser mit blauen Türen und Fensterrahmen, Tavernen und kleine Geschäfte. Der Hauptplatz bei der Kirche ist mit griechischen Wimpeln überspannt, am Boden befinden sich Mosaike aus groben Steinen. Ich will rauf zum höchsten Punkt, wo die Burg steht. Der Weg ist steil, anfangs noch breit mit grossen Stufen, dann wird er immer schmaler, schlechter und ungepflegter. Irgendwann gebe ich auf und kehre wieder um. Der Ausblick von hier oben ist allerdings gewaltig und hat die Mühe gelohnt. Zurück im Dorf kehre ich in ein Café ein, das mit hausgemachten, typisch lokalen Kuchen und Süssspeisen wirbt. Es scheint bekannt zu sein, denn nach und nach füllt es sich mit überwiegend amerikanischen Touristen, die mit Bussen hierhergebracht werden. Nachts haben drei Kreuzfahrtschiffe in der Bucht geankert, wahrscheinlich kommen sie von dort.
Nachdem ich mich gestärkt habe, mache ich mich wieder auf den Weg. Appolonia im Nordosten der Insel reizt mich. Auf dem Weg dorthin bleibe ich immer wieder stehen, um die einmalig schöne Küstenlinie zu bewundern. Badestrände, eingebettet in schneeweisse Felsen mit türkisfarbenem, kristallklarem Meer wecken meine Aufmerksamkeit. Appolonia selbst ist ein kleines Fischerdorf mit einer Fähranbindung. Lange halte ich mich dort nicht auf und fahre weiter an die Ostküste vorbei an wunderschönen Stränden, aber auch an Bergwerksbetrieben und Zementfirmen.
Auf einem Teil der Insel herrscht Fahrverbot, weil hier Schutzzonen eingerichtet wurden. Ich kehre wieder um und fahre zurück nach Adamas, weil ich Klima mit seinen Syrmata besuchen möchte, die mir schon bei der Einfahrt vom Meer her aufgefallen sind. Syrmata sind kleine, direkt an der Wasserlinie gebaute Häuser mit grossen bunten Toren, in denen die Fischer ihre Boote verstauen. Ich fahre durch das Zentrum von Adamas, nehme die Strasse in Richtung Plaka und biege bei der ersten Abfahrt nach links ab. Da komme ich aber nur an einen Strand und nicht weiter. Also wieder zurück und es mit der nächsten Kreuzung versuchen. Der Verkehr auf der Hauptstrasse ist dicht und als sich eine kleine Lücke ergibt, gebe ich Vollgas und fahre aus der Seitengasse raus. Dann plötzlich wird es dunkel und ein heftiger Schmerz fährt mir in die linke Körperhälfte ein. Die Strassen sind hier durch den Sand und die Feuchtigkeit sehr rutschig. Ich bin gestürzt. Passanten eilen mir gleich zur Hilfe, eine ältere Frau hält meine Hand, ein Herr bringt mir eine Wasserflasche und ein Ambulanzwagen, der in der Fahrzeugkollone stand, ist auch schon da. Der Sanitäter, Vangelis ist sein Name, untersucht mich und bringt mich in seinen Wagen.
Es scheint nichts gebrochen zu sein, aber es tut höllisch weh. Sicherheitshalber bringt er mich ins medizinische Zentrum. Achilles ist der diensthabende Arzt, 52 Jahre alt, hat als Assistentsarzt zwei Jahre in Basel verbracht und spricht gut deutsch. Maria, eine junge Assistentsärztin lernt gerade deutsch und bereitet sich auf die Prüfung für das B2 Niveau vor. Sie möchte eine Ausbildung zur Augenärztin in Deutschland oder in der Schweiz machen. Beide kümmern sich rührend um mich, untersuchen mich und schicken mich dann zum Röntgen. Dort bestätigt sich, dass zum Glück nichts gebrochen ist. Alle Knochen sind heil geblieben.
Mit dem Taxi fahre ich zurück nach Adamas, gehe zur Fahrzeugvermietung und begleiche meine Rechnung. Dem Roller wäre nichts passiert, lediglich ein paar Kratzer mehr, für die ich nicht belangt werden. Zurück auf dem Schiff packe ich meine Apotheke aus und nehme eine ordentliche Dosis verschiedener Schmerzmittel ein. Jede Bewegung ist sehr schmerzhaft. Ich werde hier wohl noch länger bleiben müssen, um mich zu erholen, bevor ich mich wieder aufs Meer getraue.
Die erste Nacht ist schlimm. Ich bastle mir aus verschiedenen Kissen eine Stütze für meinen rechten Arm. Zum Glück ist das Meer ruhig, so dass es keine unwillkürlichen Bewegungen gibt. Dann entfalten die Schmerzmittel endlich ihre Wirkung und ich kann ein paar Stunden schlafen.
Die nächsten drei Tage bleibe ich an Bord, verhalte mich so ruhig wie möglich und lasse die Natur an meinem Heilungsprozess arbeiten. Mehr kann ich im Moment nicht tun. Der Wind nimmt inzwischen wieder zu, eine weitere Meltemiphase bahnt sich an. Hier kein Problem, da ich in der nahezu kreisrunden Bucht bestens geschützt bin.